Sepp und Liesel

Früher bin ich gerne und viel mit meinem Hund spazieren gegangen. Wir hatten damals zwar einen stressigen Nachbarn, der sich auch einen Hund angeschafft hat, um mit uns streiten zu können, aber es gab da auch noch einen Nachbarn, der hieß Sepp und der war irgendwie anders. Er sagte nicht viel. Hin und wieder hielt er an, um mit mir einen kurzen Schwatz zu pflegen. Das kam immer plötzlich, weil er sonst nie was sagte.

Er hielt einfach urplötzlich mit seinem alten Mercedes G-Modell an, kurbelte die Scheibe runter und begann ein Gespräch lachend vom Zaun zu brechen. Das war dann vielleicht nur kurz, aber es musste sein. Er erzählte mir gerne von den blöden Nachbarn, vom Wetter und fragte wie es uns so ginge.

Einmal, da traute ich meinen Augen nicht. Mein normaler Spazierweg führte in ein Tal hinunter, über das man einen fantastischen Blick hinweg hatte. Flüsschen kreuzen sich da in der Talsohle die mit mächtigen Feldrainen bewachsen waren. Es war Abend und damals war es dort in diesem Teil des Allgäus auf der Grenze zu Oberschwaben normal, dass die Kühe noch am Tag in den schönen, üppigen Streuobstwiesen grasten. Abends mussten Sie aber wieder in den Stall, um gemolken zu werden. Sepp holte seine immer recht lauthals how,how,how,how,how,how rufend. Aber an diesem Abend, der Tau lag schon über den Feldern, da wollte eine nicht so wie Sepp. Es war die Liesel, das konnte man hören, denn Sepp schimpfte und schrie: Gosch du jetzt endlich hoim, du Mischtvieh! Als Sepp merkte, dass er Liesel nicht mehr zu Fuss kriegen würde, rannte er immer noch schimpfend heim und schnappte seine Geländemaschine. Drei Tritte und sie lief, dann raste er hinter Liesel her. Liesel hatte das schon geahnt, legte die Ohren an und verschwand im Sumpf. Aber das schreckte Sepp nicht, mittlerweile schreiend, da der Motor der Maschine nicht minder laut war, nahm er die Jagd auf. Es war ein sehr spannender Zweikampf, den ich mir von oben gerne ansah, denn man hatte den perfekten Überblick über die Geschehnisse und schlussendlich gab Liesel sich auch geschlagen. Der Klügere gibt nach. Allein die Auseinandersetzung und der starke Wille des Bauern nicht klein beigeben zu wollen, komme was da wolle, das ist die Mentalität, die ich so vermisse. Dickköpfig und gnadenlos. Lustig und konsequent. Buihe, was soviel wie knochenhart heißt.

Beim nächsten Stelldichein mit Sepp erzählte ich ihm, dass ich beeindruckt war, dass er die Liesel gekriegt hatte, denn der Sumpf ist nicht einfach mit der Enduro. Sepp blieb ernst und sagte etwas verschmitzt, dass das eben auch dazugehöre und die Liesel sowieso so eine ausgefuchste sei. Und dann erzählte er weiter und dann war es so ein schöner Abend und jemand hatte ihm erzählt ich würde so gerne wandern und dass er da gegenüber vom Hochgrat noch eine Hütte habe, auf der so ein Senn arbeite und die Liesel bei dem auf der Sömmerung auch schon immer abgehauen sei und dieser Senn sei den ganzen Sommer da oben und sei immer nackt und wenn Wanderer kämen, dann würde auch nichts anziehen, so ein ganz verrückter Hund, aber auch zuverlässig und arbeitsam. Das sei immer so schön da oben. Abends, wenn die Sonne unterging und die Hauswand vor der die Bank stand noch warm war, mit Blick auf den Hochgrat Dann würde er dort immer noch ein Bier trinken. Ich war damals schon so neidisch und lud mich zu dieser Alm bei ihm ein. Aber nur wenn ich mit geh. Entgegnete Sepp. Ich würde da gerne mal alleine hin, aber nachdem meine Familie weggezogen war, traf ich Sepp nicht mehr. Vielleicht sollte ich mal wieder vorbeifahren. Am liebsten hätte ich seine Alm gekauft. Aber ich weiß nicht, ob Sepp die hergibt und ob ich jemals so viel Geld zusammen kriegen würde.

Gott segne unsere Fluren!

Kreuzbäume

Auf jeden Fall fuhr ich nach Jahren mal wieder nach Bodnegg. Hat sich einiges verändert hier, aber das Haus von Sepp finde ich noch. Er ist nicht da. Ich wandere also meinen alten Spazierweg entlang. Unten im Sumpf finde ich seinen Traktor, den er zum Streubemähen mit großen Stahlverbreiterungen gewappnet hatte. Das sieht krass aus. Sepp fremdelt, als er mich sieht. Er weiß nicht so genau, wo er mich hinstecken soll.

Hoi dr Doktorssohn. Wa machschn du hier? Ach ich wollt mal wieder meine alte Runde laufen. Schauen, ob es dieses Jahr mal wieder so einen großen Steinpilz in Georgs Wald gibt.

So, So. Und sonscht so? Nix. Wollt bloß sehen, ob es dich noch gibt. Na klar. Unkraut vergoht it und dr Letschte machts Licht aus. Das hatte er früher schon zu meiner Mutter gesagt, kurz bevor sie starb. Trotzdem traue ich mich in dieser frühen Wiedersehensphase nicht nach mehr zu fragen. Da musste erst wieder so etwas wie ein klitzekleines Vertrauensverhältnis aufflackern.

Das Pflegen der Streubewiesen im Sumpf bringt EU Subventionen. Ganz davon abgesehen, dass Streubelandschaft echt schön ist. Im Sommer wachsen hier sogar wilde Orchideen. Und im Herbst ist die Streube dann fast mannshoch und duftet würzig. Jetzt würde sie Sepp bald mit dem Balken an seinem Traktor mit den mächtigen Eisenwalzenverbreiterungen platt machen, um einen neuen geordneten Start im Frühling zu gewährleisten und einer Verbuschung vorzusorgen. Die Streube wird wenn Sie trocken ist gehäckselt und bildet eine hervorragende Einstreu für Ständerhaltung bei Kühen. Sozusagen die Matratze für Liesel, falls die noch lebt. Mein weg führt mich weiter durch Georgs Wald und ich erinnere mich bei vielen Ecken an früher. Wie ich mit meinem Hund an Stoffe dachte, nur weil dieser Wald etwas ganz altes und unheimliches hatte. Dann biege ich ein und wandere im Wald über einen kleinen Grad. Typisch für die Voralpen Endmoränen Landschaft. Steil fällt der Weg wieder ab, dann wieder um eine Kurve und nun beginnt der Weg, an dem ich früher die größten Steinpilze meines Lebens gefunden hatte. Leider gibt es die nicht jedes Jahr. Dieses Jahr ist auch nichts zu finden, aber die Erinnerung reicht aus, wie ich diese Pilze wie eine Jagdtrophäe nachhause trug und wie ein Schnitzel in einer Olivenölpfanne anbrut. Schon allein für den geilen Geruch würde man töten. Entweder man spürt diese Pilze, oder man übersieht sie. Es ist eine heimliche Abmachung mit dem Wald. Nicht jeder findet sie. Ich biege wieder raus aus dem Wald und treffe Sepp abermals. Er sagt rufsch s nächschte Mal vorhert ah, noch trinket mr a Tässle Kaffee.